Dienstag, 13. April 2021

Kristina liest ... "Gyo" (Deluxe Edition)

Harmloser Ausflug ans Meer?

Es hätte so schön sein können: Sonnenbaden mit der Liebsten, Schnorcheln im Meer, vielleicht noch Muscheln sammeln? Stattdessen endet Tadashis Erkundungstour abrupt mit der Begegnung eines angriffslustigen Haies. Gerade so kann ihm Kaori zu Hilfe eilen und ihn herausziehen. Und das sollte nicht das Ende gefährlicher Begegnungen sein: Als die beiden zurück in die Ferienwohnung in Okinawa gehen, macht sich ein widerlicher Gestank breit. Für Kaoris empfindliche Nase ist das alles andere als annehmbar und auch das Abduschen mag keine Abhilfe leisten.
 
Dem stechenden Geruch folgt eine unangenehme Aura - wer oder was schleicht durch die Räume? Welches Tier verursacht diese klackernden Geräusche? Als Tadashi auf die Suche danach geht, traut er seinen Augen nicht: ein Fisch mit Metallbeinen?! Nachdem er das "Tier" getötet und in einem Müllbeutel nach draußen gebracht hat, kehrt er zu Kaori zurück, um sie zu beruhigen. Mittlerweile fiebrig und stark mitgenommen, denkt diese gar nicht erst an Ruhe - der Gestank plagt sie weiterhin. Die Ursache muss also noch da sein und Tadashi soll sich erneut vergewissern, dass der Übeltäter auch tatsächlich unschädlich gemacht wurde.



In der Luft, in der Nase, überall

Draußen angekommen, ist der Müllsack weg. Und ein Schrei erfüllt die Nacht. Tadashi rennt zurück ins Haus und muss schockiert feststellen, dass der Killerfisch schwebend zurückgekehrt ist und Kaori angreift. Die absurde Situation eskaliert so stark, dass Kaori aus dem Zimmer nach draußen flieht, gefolgt von dem fliegenden Müllsack und Tadashi, der Mühe hat, dem Ganzen Herr zu werden.
 
Am Meer angekommen, schwebt der Gegner in die nächtliche Dunkelheit und ist weg. Kaori, völlig am Ende ihrer Kräfte, bricht zusammen, während Tadashi dem Müllsack noch bis zum Strand folgt - wo er erst einen Eindruck über das Ausmaß der Gefahr erhält: Tausende Fische, alle mit Metallbeinen, rennen aus dem Meer ans Land. Das war erst der Anfang.




Fazit: Schleichend, stetig, surreal

"Der weiße Hai" hat Junji Ito zu diesem Werk inspiriert. Als Meister surrealistischen Horrors versteht er es gut, alltägliche Situationen langsam, aber stetig in eine zunehmend bedrohliche, verzerrte Gegenwart zu verwandeln. Was hier als ekelhafter, aber harmloser Gestank beginnt, endet in einem absurden Albtraum vom Untergang der uns bekannten Welt.

Auch zeichnerisch baut er die Elemente mit einer Steigung auf. Anfangs zieren noch wenige Striche, die symbolisch für den Gestank stehen, die Luft - später wird es mühsam, fast schon bedrückend, die einzelnen Bilder zu betrachten. Der Gestank, Tadashis Erschöpfung, die Bedrohung - sie ist optisch spürbar. Weitere Charaktere, wie beispielsweise Tadashis Onkel, wirken eher grotesk und unheimlich anstatt vertraut und liebenswürdig.

Allerdings zieht sich eine stabile Konstante durch fast alle Werke: Liebe.
Zugegeben, Kaori wirkt übertrieben dramatisch, ständig beschwert sie sich und scheint, Tadashi das Leben schwer zu machen. Und auch Tadashi wirkt am Anfang zu unbekümmert, fast schon überheblich. Doch trotz dieses ersten Eindrucks ist an ihrer Beziehung zueinander nicht zu rütteln. Wie auch bereits in "Uzumaki" wird hier eine Liebe dargestellt, wie sie trotz aller Widrigkeit stärker nicht sein könnte.

"Gyo" ist ein Horrorwerk für Genießer des Genres, die sich auch gerne mal die Zeit nehmen, in die Zeichnung einzutauchen. Belohnt werden sie außerdem in dieser Deluxe Edition durch zwei Kurzgeschichten, wovon "Der Spuk in der Amigara-Spalte" ("The Enigma of Amigara Fault") der ein oder anderen Person vertraut vorkommen dürfte.


Wertung: 5 / 5

  

Leseprobe: Gyo Deluxe / Ito, Junji

Shop: www.comic-time.de/gyo-deluxe

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